Zuhause hole ich aus dem Altpapier das ZEIT-Magazin vom 14. Juni, und nachdem ich es wieder gelesen habe, erinnere ich mich, warum ich es beim Erstlesen seufzend beiseite gelegt habe.
Es geht darin nicht nur um den berechtigten Kampf von Transsexuellen um gesellschaftliche Anerkennung, sondern, viel komplizierter, auch um die Forderungen selbst ernannter Intersexueller, auf kein Geschlecht mehr fest gelegt zu werden. Ja warum auch nicht - zum Schreien finde ich nur, was dazu an genderpolitisch korrekten Sprachregelungen fällig werden soll.
Ich habe, lebenslang in einem weiblichen Körper, viel Verständnis für die Ablehnung normativer Festlegungen, diesem Überstülpen von Verhaltenserwartungen auf ein biologisches Geschlecht. Die meisten meiner Freundinnen wollten als Kinder lieber Jungs sein, weil die einfach mehr durften, Lärmen, Fußballspielen, davon träumen, Pilot oder Architekt zu werden, während unsereins sich beim Häkeln von Topflappen auf eine Zukunft als Mutti oder Friseuse zu freuen und immer nett zu sein hatte. Da gab es für uns großen Änderungsbedarf und, begleitet vom Gezeter gegen die Emanzen, auch Erfolge. Auch im Bereich von Sprachreglungen: das "Fräu-lein", die Vermickerung der unverheirateten Frau, ist Geschichte; und kein Professor würde es mehr wagen, sich nur an seine Studenten zu wenden und nicht auch an die Studentinnen.
Mit der Sprache formen wir uns die Welt, aber was bedeutet es wirklich, wenn wir beispielsweise statt ER und SIE ein drittes geschlechtsneutrales Pronomen einführen, eine Art politisch korrektes ES, z.B. sier, ein Kunstprodukt aus sie und er, mit einem Rattenschwanz seiner korrekten Ableitungen? Wirklich mehr Akzeptanz? Weicht man Kategorien nicht besser auf indem man mit ihnen spielt? Und wird nicht im Gegenteil den Zuschreibungen Professor oder Professorin, Freund oder Freundin erst recht eine normierende Bedeutung verliehen, wenn man sie um jeden Preis entsexualisieren will, mit Endungen wie Profess-x, oder Freund-ecs, stehend für exit gender?
Leider befindet sich jedermann/frau mit einer Kritik an solchem Sprach-Exitus in der schlechten Gesellschaft der dumpfbackigen Schreiber von Hassmails an die Protagonistecs der Bewegung, und auch der AfD und anderer unlustiger Komiker, die hier billiges Satirefutter finden.
Zum Glück gibt es Personen wie Patsy L´Amour laLove. Patsy ist promovierte Genderforscherin, zugleich ein junger Mann, der sich gerne in feminin-glamoröse Outfits wirft, und dafür sogar in der Großstadt Berlin angepöbelt wird. Auch hier ein Änderungsbedarf, aber für den Weg dorthin mahnt Patsy Brüder und Schwestern und alle exen und ecsen zu mehr Gelassenheit. Es bringt halt wenig, im Gegenzug jeden, der z.B. die korrekten Anreden nicht drauf hat, unter dem Generalverdacht "Du Heteronormativer" auszugrenzen. Vernunft scheint aber nicht gut anzukommen, und Mahner/In wird jetzt auch noch aus der genderradikalen Ecke angefeindet. Und klagt, dieser Umgang mit "Abweichlern" erinnere an stalinistische oder K-Gruppen.
Letztere habe ich auch in solcher Erinnerung - ein falsches Wort und du bist als Klassenfeind entlarvt - bereue oder weg mit dir! Gemessen an der gesellschaftlichen Relevanz dieser K-Grüpplein ein absolut lächerliches Verhalten.
Im Münchner Frauenzentrum fanden sich in den Siebzigern Heterofrauen, Bisexuelle und Lesben zusammen, um gemeinsam den dominanten Schwanzträgern, dem Patriarchat die Zähne zu zeigen. Trotz der Parole "Frauen gemeinsam sind stark" wucherten auch da Abgrenzungen: radikale Feministinnen gegen Frauen, die Männer noch als menschliche Wesen durchgehen ließen, "echte" Lesben gegen Bisexuelle, abwertend als "Bewegungslesben" bezeichnet und suspekt als potenzielle Abweichlerinnen von reiner Lehre und Praxis.
Frau fand sich da schnell zwischen den Stühlen wieder, doch die Vorteile eines solchen Platzes liegen auf der Hand: man bleibt in Bewegung.
In einem ziemlich langen Leben wechselnd negativ sortiert als:
Emanze, Bewegungslesbe, männerfixiert, Bi-Tante,
selbst definiert als ICH, Marina,
erlaube ich mir, es nicht nur dämlich, sondern geradezu kontraproduktiv zu finden, dem biologistischen Zuordnungswahn alter Art mit einer neuen Abgrenzungsmanie zu begegnen.
Engstirnigkeit scheint ein Problem auch nach exit gender zu sein. Da muss man Personen wie Patsy außer Gelassenheit noch viel Humor bei der Wanderung zwischen den Stühlen wünschen.
Und ich würde ihr gerne eine Bestätigungsmail schreiben, aber das geht nur über Facebook, und das ist leider auch nicht mein Platz.
Zurück zum Ausgangsörtchen in Frankreich: da traf ich auch noch auf eine weitere Variante: es gab zwar zwei Separées für Menschen mit unterschiedlicher anatomischer Ausstattung, aber in einem gemeinsamen Vorraum müssen beim Händewaschen und Nasepudern alle in EINEN Spiegel schauen.
Nachtrag 8.7.:
eine ehemalige BR-Kollegin, also eine Frau die auch immer mit dem Wort gearbeitet hat, schrieb mir Zustimmung und brachte das Problem noch einmal schön mit einem Satz auf den Punkt:
Sprache ist Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, aber eine Vergewaltigung der Sprache ändert die Verhältnisse nicht!
Außerdem meint sie:
"Bei der ganzen Gender-Diskussion habe ich manchmal den Eindruck, dass wir damals kurz nach den 68er Jahren trotz äußerer Einschränkungen freier im Denken und (teilweise) im Handeln waren als die jüngeren Generationen heute. "Political correctness" in allen Lebensbereichen wird zur moralinsaurer und besserwisserischer Unfreiheit (siehe auch Veganer u.a.)..."
Finde ich ja auch, A.-M.! Aber verklären wir da nicht doch ein wenig unsere - gemeinsame - Vergangenheit?
Ein eigenes Thema wär es schon...