Das geht mir allerdings auch schon so, erst kürzlich hatte ich Einschlafschwierigkeiten, weil mir der Name einer Schauspielerin, der Ex von Peter Handke, nicht mehr einfiel; dabei hatte ich sie gerade als kriminelle Alte in der österreichischen Serie "Braunschlag" gesehen, eine unglaublich schwarzhumorig respektlose Anti-Idylle, sowas trauen sich halt nur unsere Nachbarn ... aber zurück zu Martin Walser:
Dieser seit Jahrzehnten lückenlos produktive Dichter vom Bodensee war uns ein Lieblingsbelustiger, weniger wegen der sparsam gestreuten Bonmot-Rosinen im Hirsebrei seiner Romane als wegen seiner eitlen Selbststilisierungen in Goethes Schlafrock, und seiner Bewunderergemeinde der älteren Damen.
Weniger lustig fanden wir seine Paulskirchenrede 1998, in der er gegen eine gewisse deutsche "Erinnerungskultur" polemisierte, gegen die "Dauerpräsentation unserer Schande", und mahnte, Auschwitz solle nicht zur "Drohroutine" werden.

(Zwischenfrage an Leser/Leserin: hat vielleicht Björn Höcke vor seiner letzten Rede die von Walser gelesen?
Unwahrscheinlich zwar, aber denkbar, er ist ja Geschichtslehrer, wenn auch suspendiert.)


Allerdings dürfen wir nicht vergessen: eben dieser Dichter M.W. hat schon in den frühen Sechzigern gut gemeinte Stücke geschrieben, die eine ungern erinnerte deutsche Vergangenheit auf die Stadttheaterbühnen brachten, er hat sich damals ebenso wie andere Intellektuelle mit der chronisch vergesslichen Nachkriegs-Republik unter CDU-Regierung kritisch auseinander gesetzt und war einer der ersten, die sich gegen den Vietnamkrieg äußerten, noch bevor wir Studenten ihn zu unserem Thema machten.
Und wenn der alte M.W. noch eine Erinnerung an den jungen Nachdenker M.W. bewahrt hat, dann darf er, finde ich, mit 89 auch mal sorglos irgendeinen Namen vergessen, z.B. den von Peter Handkes Ex.

Aber darf ich das eigentlich, fast eine Generation jünger? Muss ich mir Sorgen machen?
"Bei einem Demenz-Test " sagt mir eine Freundin am Telefon, " wird man als erstes gefragt, welches Datum ist heute, und wenn man da keine Zeitung liest..."
"Und," frage ich, " den wievielten haben wir heute?"
"Natürlich den 27.1.2017!"
"Aha," sage ich, " du hast die Tageszeitung gelesen!"
"Nein, ich bin heute bei meinem Ex zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen, und da weiß ich, dass heute der 27. sein muss."
"Verstehe", sage ich, "die persönlichen Erinnerungen sind die zuverlässigsten."
"Nicht ganz," korrigiert die Freundin. "Ich konnte mir das Datum seines Geburtstags nur deshalb immer merken, weil es mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zusammen fällt, also der Befreiung von Auschwitz."
Um das Gedächtnis der Freundin muss ich mir wohl keine Sorgen machen. Aber ich habe mich auch erinnert und ich hoffe, dass mir das jetzt nicht auch die ganze Nacht keine Ruhe läßt.
Der Dichter auf einem fliehenden Pferd
Martin-Walser-Brunnen in Überlingen, Detail