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Ein Trägerrock aus dunkelblauem schwerem Taft, die Träger so breit, dass sie zusammen mit dem Querband fast ein geschlossenes Oberteil bilden. Die Schlichtheit des Schnitts, für ein etwa siebenjähriges Mädchen, steht im Kontrast zu dem festlich wirkenden Material. Dazu eine Bluse mit Puffärmeln und großem rundem Kragen, aus einem hellen Organzastoff, in dem Blumen und exotische Früchte, farbig und leicht plastisch hervortretend, eingewebt sind.
Am Morgen, als ich diese neuesten Ergebnisse der Umschneiderei meiner Großmutter anzog und in die Schule ging, fühlte ich mich darin großartig. Das Gefühl schwand schnell unter den abschätzigen Blicken der Mitschülerinnen. „Ja da schau her, die Prinzessin!“ schrie in der Pause ein Junge aus der Klasse unter mir. Das war aber überhaupt nicht nett gemeint, denn als ich ihm den Rücken zu kehrte, warf er einen großen Batzen Dreck, der Rock und Bluse gleichzeitig traf. Ich rannte ihm nach, um ihn dafür zu watschen, hatte ihn schon fast erwischt, da fiel mir ein, dass in dem folgenden Handgemenge das Gewand noch schmutziger, vielleicht sogar zerrissen würde, und die Oma jammerte schon genug.
Ich beließ es bei einem Fußtritt, der wegen der Laufgeschwindigkeit nicht einmal ordentlich schmerzhaft platziert werden konnte, und zog mich in die andere Ecke des Pausenhofs zurück. „Huhu, Prinzessin!“ höhnte es aus der Ferne. „Ja, und gerade mit Fleiß!“ sagte ich zu mir und strich den blauen Taft glatt.
Sicherheiten
Ein hautfarbener Taillenschlüpfer aus kochfester Baumwolle, äußerlich unauffällig, aber mit spezieller Zurüstung für Regelblutungen: ein Gummieinsatz im Schritt, an dessen Rand sich vorne und hinten jeweils ein Metallring befindet, zum Befestigen der Damenbinden, die damals noch an beiden Enden in kurze Bänder aus Zellstoff auslaufen.
Meine Mutter hatte dieses Stück für mich in dreifacher Ausfertigung zum gesicherten Eintritt ins Frauenleben besorgt. In den kommenden Jahren verbesserten sich die Hilfsmittel zur Monatshygiene erfreulicherweise so schnell, dass auf diese windelhosenähnlichen Wäscheteile verzichtet werden konnte.
Ähnliches sah ich, mit dem gleichen Unbehagen wie damals, erst viel später wieder in einem Sanitätshaus, als Schutz gegen Blaseninkontinenz. Meine Mutter hasste es, diese Schlüpfer selbst zu kaufen, ich tat es für sie und unseren privaten Generationenvertrag.
Kühner Kauf
Eine lange schwarze Knabenhose aus feinem Wollstoff, ohne Bundfalten, gerade geschnittenes Bein, kein Umschlag.
Das Besondere an dieser Hose war der Reißverschluss in Frontmitte. Die Damenhosen zu Beginn meiner Teenagerzeit waren seitlich zu öffnen, in der Taille zwar schmal, aber am Gesäß oft beutelartig geschnitten. Die Herrenhosen dagegen saßen eng und tiefer auf der Hüfte. Meine damals beste Freundin zog damit bewundernde Blicke auf sich und nahm mich, da ich, Peinlichkeiten befürchtend, es alleine nicht wagte, kurz entschlossen zum Hosenkauf mit.
Mit der natürlichen Sicherheit einer Herkunft aus bester Familie betrat sie das örtliche Traditionsgeschäft für Herrenausstattung, das ganz in dunklem, poliertem Holz eingerichtet war, durchtränkt von Seriosität wie vom Aroma teurer Zigarren, und sie verlangte mit heller Stimme, eine ordentliche Auswahl von Stücken in passender Größe gezeigt zu bekommen. Zwei junge und ein älterer Verkäufer fanden sich zu einem Ballett der Dienstbeflissenheit zusammen, gesteuert von erotischen Unterströmungen, denn die Selbstsichere war von ungewöhnlicher Schönheit, wusste das auch sehr wohl, und beglückte die eifrigen Angestellten mit charmant herablassendem Geplauder. Ich brauchte gar nichts zu sagen, bekam aber trotzdem genau die Hosen, die ich mir immer gewünscht hatte.
Anstatt jedoch freudig dankbar zu sein, rief ich längere Zeit nicht mehr bei ihr an, ließ mich sogar von meiner Mutter am Telefon verleugnen. Es schien mir nötig, auf diese Weise meine Unabhängigkeit von der Schönen zu zeigen. Bald darauf wurden Damenhosen mit Vorderreißverschluss und schlankem Schnitt in den neu entstehenden Boutiquen und sogar in Kaufhäusern angeboten, sodass ich wenigstens dafür nicht mehr auf selbstsichere Begleitung angewiesen war.
Mittlerweile finde ich auf der Hüfte sitzende Hosen unbequem, und ich würde, nach vergeblicher Suche bei den kleinen Größen, den jungen Verkäuferinnen gerne sagen, dass nicht jede Trägerin von „Small“ auch automatisch jede Teenagermode mitmachen will. Es kommt nur leider selten eine von ihnen bis in Ansprechnähe.
Zwei schwarze Damenjacken
Die eine aus Baumwollcrepe, ungefüttert, hüftlang, aber stark tailliert, kragenlos, die Stoffränder über der Brust nicht gerade, sondern in Wellenform geschnitten und gesäumt. Tief, fast in Taillenhöhe erst drei facettierte Glasknöpfe mit Schlingen. Die Ärmel weit, am Handgelenk mit einem schmalen Bündchen zusammengefasst. Im unteren Drittel des Ärmels jeweils ein breiter Einsatz eines ebenfalls schwarzen, aber spitzenähnlich durchbrochenen Stoffs. Weniger Jacke als Schmuckstück, unter das außer engen T-Shirts, Corsagen, Tops kaum etwas passt.
Die andere aus weichem Nickistoff, ebenfalls ungefüttert, leicht tailliert, ansonsten in klassischer Blazerform mit breitem Revers geschnitten. Mit drei Kunststoffknöpfen zu schließen.
Die Nickijacke gehörte mir, und gleich nach dem Kauf ersetzte ich die Plastikknöpfe durch drei kleine Bakelit-Kunstwerke in Bernsteinfarben, die meine Mutter von einem Bolero ihrer amerikanischen Tante abgeschnitten hatte.
Die Spitzenjacke gehörte einer Schulkameradin, mit der mich ein paar Jahre lang die Fiktion verband, wir seien gute Freundinnen oder könnten es trotz aller Auseinandersetzungen einmal werden. Wir hatten beide wenig Geld für Mode, gaben es lieber für neue Bücher und Schallplatten aus, die wir uns gegenseitig ebenso großzügig zur Nutzung überließen wie einzelne Kleidungsstücke. Theoretisch sollte das auch für Männer gelten.
Doch als ich eines Abends in einem Stammlokal, geschmückt mit der Spitzenjacke, auf die schon stark angetrunkene Leihpartnerin traf, beschimpfte sie mich lauthals, ich würde mich nicht nur ständig an ihrer Garderobe, sondern auch an ihren Liebhabern vergreifen. Das war nun blanker Unsinn - wenn überhaupt, wäre ich eher an ihr selbst, damals noch eine aparte Erscheinung mit hohen Wangenknochen und lackschwarzer Garçonne-Frisur, interessiert gewesen, und ich hatte zwar wenig Skrupel, aber bei Männern einen völlig anderen Geschmack als sie.
Wenn die Aparte jedoch mehr als vier Schoppen intus hatte, war mit ihr nicht mehr zu argumentieren. Ich erinnerte sie nur daran, dass sie seit über zwei Monaten meine schwarze Nicki-Jacke in Gebrauch habe, und rettete den Abend für mich, indem ich in das andere Stammlokal wechselte.
Am Nachmittag des folgenden Tages rief sie mich an und gestand mir, dass sie gestern Nacht die geliehene Jacke in einem Wutanfall in die Mülltonne geworfen habe, und die sei schon geleert worden, aber sie würde mir dafür ihre edle Spitzenjacke schenken. Das war im Prinzip kein schlechter Tausch, leid tat es mir nur um die schönen Bakelit-Knöpfe. Außerdem fand ich, es bedeutete keinen besonderen Verzicht für die Besitzerin, denn sie begann bereits zuzunehmen und hätte in das körpernahe Stück ohnehin nicht mehr hineingepasst.
Auch ich hatte nicht lange Freude daran, obwohl ich nicht zunahm. Vom regelmäßigen Schwimmen im Hallenbad bekam ich eine kräftige Rückenmuskulatur, und als ich ein Jahr später eine Reisetasche ins Gepäcknetz stemmte, riss der Stoff an den Schultern mit einem hässlichen Geräusch über zwanzig Zentimeter Breite.
Diese Art von Kleidungsstücken war nicht dazu gedacht, dass die Trägerin irgendetwas stemmen sollte. Das wäre die Aufgabe des Mannes an ihrer Seite gewesen, aber da gab es im Augenblick keinen passenden auszuleihen.
Die Bluse, die sich in einen Koffer verwandelte
Eine Bluse aus Seidenmoiré ( lexikalisch: ripsbindiges Gewebe mit schillernden Glanzfiguren auf der Oberseite), die Farbe ein gedämpftes, auch Mauve genanntes Rosa. Dreiviertelärmel mit breiten Stulpen, langgezogener Kragen mit tiefem Ausschnitt, drei mit Blusenstoff überzogene Knöpfe. Kurz, tailliert, über Röcke und Hosen zu tragen, nur chemisch zu reinigen.
Wir - d.h. eine befreundete Journalistin, zur Probezeit bei einer großen Firma in London, und ich, Doktorarbeit über britische Literaturzeitschriften - hatten nach dem Austausch von Erfahrungen mit bed & breakfast („Bohnen in Tomatensoße zum Frühstück!!“) beschlossen, für ein Jahr zusammen eine möblierte Wohnung zu mieten.
Dieser Luxus verschlang jeden Monat mehr als die Hälfte unserer Stipendien. Die Journalistin sorgte dafür, dass dennoch gelegentlich Krabbencocktail und französischer Käse auf unseren Abendbrottisch kamen, indem sie bei ihren Besuchen im Lieblingskaufhaus Ihrer Majestät nur das bezahlte, was nicht unauffällig in Mantel- und Einkaufstaschen verschwinden konnte.
Mein Lieblingskaufhaus lag in der Nähe einer Umsteigestation zur British Library. Es folgte offensichtlich dem Konzept, den Kaufvorgang quasi zur zweitrangigen Folgeerscheinung einer ästhetischen Überwältigung werden zu lassen. Die Einrichtung war ganz in Schwarz und Silber gehalten, das Warenangebot zu einer Vielzahl farblich abgestimmter Stillleben komponiert. Der Kunde konnte allerdings auch Skrupel bekommen, den Kunstwerkscharakter dieser Arrangements durch Entnahme von Einzelstücken zum Zwecke näherer Begutachtung oder gar Kauf zu zerstören.
Vom Personal hatte er dabei keine Hilfe zu erwarten, denn die in der Mehrzahl selbst zu Kunstwerken gestalteten jungen Leute hielten sich dezent im Hintergrund, plauderten miteinander oder schauten einfach intensiv abwesend.
Dieses Kaufhaus hatte zwar keine Feinkostabteilung, aber schwarzsilberne Kosmetikutensilien und Schreibwaren, exotische Tücher und gemusterte Strumpfhosen brachten ebenfalls Glanz in unseren Stipendiatenalltag. Nachdem ich bereits ein Vierteljahr die Gepflogenheiten in diesem Warenerlebnispark zu unserem gemeinsamen Nutzen studiert hatte, gestattete ich mir zu meinem Geburtstag die Mitnahme der Bluse aus rosafarbenem Moiréstoff. Noch am selben Abend rutschte mir bei einer Feier mit Freunden etwas Krabbencocktail von der Gabel auf das neue Stück.
Zurück von der Reinigung bekam ich es als fleckig entfärbten Lappen, zusammen mit einem Schreiben, dass die traditionsreiche und anerkannte Firma trotz fachmännischer Behandlung und größter Sorgfalt kein besseres Ergebnis habe erzielen können. Mit Blusenrest und Schriftstück wurde ich bei den Schwarz-Silbernen vorstellig und erhielt dort zu meinem Erstaunen anstandslos, auch ohne Kassenzettel, einen Warengutschein.
Kaum zwei Jahre später meldete das Kaufhaus Konkurs an. Ob daran auch die Arglosigkeit des Personals gegenüber dreisten Kunden eine Mitschuld trug, ist mir nicht bekannt. Eine weitere Pointe hat die Geschichte nicht. Der mit Jeansstoff bezogene Koffer, den ich mir für den Warengutschein geben ließ, war von ordentlicher Qualität, diente lange Jahre als Reisebegleiter, später zur Aufbewahrung von gerade nicht gebrauchten Kleidungsstücken auf dem Dachboden.
Zwei „Kleine Schwarze“
Das eine aus Seidensatin, das Oberteil ganz körpernah, Andeutung eines Kelchkragens und ein steiler, sehr tiefer Ausschnitt. Die langen Ärmel eng, über dem Handrücken spitz zulaufend. Der Rock unter der kurzen Taille vorne gerade fallend, zwei Handbreit oberhalb der Fußknöchel endend. Hinten ist der Stoff in der Mitte etwas gerafft und länger, sodaß die Andeutung einer Schleppe entsteht. Als Einstiegshilfe nicht, wie zu erwarten, ein langer Reißverschluss im Rücken, nur ein kurzer an der Seite.
Das andere aus Wollcrêpe, vermutlich noch original aus den Dreißigern, knapp kniebedeckend, typisch ohne sichtbare Taille, mit zwei unterschiedlich langen Stofflagen. Die obere, kürzere, ist, wie der Rand der kleinen Ärmel, Ton in Ton bestickt mit den dreieckigen und halbkreisförmigen Ornamenten, die auch im Schmuck der Zeit erscheinen. Man kann sich vorstellen, es mit einer langen Kunstperlenkette zu tragen und Charleston zu tanzen.
Das schwarze Seidenkleid hatte ich in einem Trödelladen erworben, wo die Inhaberin immer am Donnerstagnachmittag die Beute ihrer Großeinkäufe direkt aus den Säcken auf den Fußboden leerte und den kühn Zugreifenden zu besonders günstigen Preisen überließ. Das Bügeln des gewaschenen Kleides, wenn es allmählich die Raffinesse seines Schnitts enthüllte, glich jedes Mal einem Schöpfungsakt.
Ein von mir verehrter Mann wünschte sich, ich solle dieses besondere Schwarze immer abends bei Besuchen in seiner Stammkneipe tragen, denn ich sähe darin aus wie Morticia Addams. Leider hatte sein Entzücken keine weiteren Folgen. Ein anderer Mann verfluchte das Kleid, weil der Reißverschluss klemmte, als er ungeduldig daran zerrte.
Eine solche Robe, die man nicht einfach anzieht, mit der man sich vielmehr für einen Auftritt vorbereitet, erwies sich als ideal für die Bühnenpräsentation im Kabarett, als Überhöhung des „Kleinen Schwarzen“. Da meine Freundin erstmals in dem kultursatirischen Programm mitspielte und aus ihrer brauchtumsbegeisterten Vergangenheit zwar ein unverwüstliches Trachtenkostüm, aber kein schwarzes Cocktailkleid aufbewahrt hatte, suchte und fand ich schon am zweiten Donnerstagnachmittag das passende Stück, das Schwarze aus Wollcrêpe, ideal für eine Frau mit wenig Taille, aber langen schlanken Beinen. Ich hätte mir gewünscht, dass sie diese in den zu dem Kleid passenden, dicht gewirkten Seidenstrümpfen mit Naht und Spangenpumps zeigen sollte - sie besaß sogar ein Originalpaar in cremefarbenem Leder von ihrer Großmutter. Aber sie überzeugte mich, dass solches Schuhwerk auf einer winzigen Bühne mit tückischen Stufen, und bei Auftritten u.a. auf Kisten und Leitern stehend, zu gefährlich wäre.
Wir einigten uns auf eine gemeinsame Bühnentracht mit grauen Strumpfhosen und weißen Stoff-Turnschuhen. Diese Kombination mit den feinen schwarzen Gewändern wurde damals noch als besonderer Gag wahrgenommen.
Noch während der Wiederaufnahme des erfolgreichen Programms bekam das museale Wollcrêpekleid irreparable Risse. Das Seidensatinkleid erwies sich als robuster, aber da ich die klaustrophobischen Empfindungen beim An- und Ablegen dieser Körperhülle immer weniger ertragen konnte, verschenkte ich es nach Beendigung der Spielzeit.
Zurüstungen
Ein lachsfarbener Strumpfhalter, ohne Häkchenverschluss, rundum voll elastisch durch gekräuselte Kunstfaser auf Gummifäden.
Da ich satinversteifte, stäbchenverstärkte, häkchenverschließbare Hüftgürtel strikt ablehnte, brachte mir meine Mutter diese angenehmes Tragegefühl verheißende Wäscheneuheit mit, in der Hoffnung, mich damit von den elastischen Strumpfbändern abzubringen. Diese fand sie wiederum schädlich für die Blutzirkulation, aber auch (das gestand sie allerdings erst viel später) irgendwie unpassend für ihre minderjährige Tochter.
Die Neuheit blieb weitgehend ungenutzt, da im gleichen Jahr die ersten Strumpfhosen auf den Markt kamen. Als Folge davon erlebte die Miederwarenbranche eine Krise, und ihre Produktpalette eine Polarisierung: das Lachsfarbene, Verstärkte zum Befestigen von Strümpfen kauften nur noch ältere übergewichtige Damen; spitzengeschmückte Strapsgürtel in Rot und Schwarz sanken vorübergehend in den Schmuddelbereich des Spezialversands ab. Doch später eroberten sie ihren Platz auch in seriösen Wäschegeschäften zurück, jetzt als selbstverständliches Rüstzeug erotisch emanzipierter Frauen.
Ob denn die neuen Spitzenteile sich angenehmer trügen als die alten Bauchkneifer, fragte ich eine erotisch ziemlich emanzipierte Freundin. Natürlich nicht, lautete die Antwort, aber man lege sie ja auch nicht an, um einen gemütlichen Abend zu verbringen. Ich blieb bei den Strumpfhosen. Bestätigung bekam ich durch einen in Freundschaft bewältigten Ex-Mann, der meinte, ein fades Theaterstück sei noch nie allein durch die Kostüme gerettet worden. Er bezog sich damit auf die vergeblichen Bemühungen einer späteren Ex, mit Körperinszenierungen das erloschene Feuer wieder zu entzünden.
Die Ehrlichkeit der befreundeten Frauen meines Alters vermisse ich bei der jüngeren Generation. Da erzählt man mir beispielsweise, die neue und unappetitliche Variante von Reizwäsche, bei der ein Textilband in der sensiblen und schweißintensiven Anusregion reibt, werde vor allem aus ästhetischen Gründen unter heller, eng anliegender Kleidung getragen. Allerdings hatte ich früher auch Leute über vierzig für zu entfernt vom Leben gehalten, um mit ihnen Klartext zu reden.
Veränderung und Dauer
Ein Unterrock, knielang, leicht ausgestellt geschnitten, aus feinem, aber nicht durchsichtigem Leinen. Die breiten Träger und der viereckige Ausschnitt spitzenumsäumt, zusätzlich mit Lochstickerei verziert, auf der Brust ein Monogramm M.R.
Diese billig auf dem Flohmarkt erworbene Weißwäsche trug ich mit dem von einer Freundin aus der Frauenbewegung bestickten Gürtel als Sommerkleid; zwei Jahre lang, weil ich mir kein anderes leisten konnte, im dritten Jahr, um zu demonstrieren, dass auch eine vorübergehende Festanstellung meine Persönlichkeit nicht ändern würde.
Eine eventuelle Beschwerde wollte ich mit der Frage kontern, wieso unser Verlag sich seiner schockierenden Autoren rühme, seinen Lektoren jedoch einen konservativen Dresscode vorschreibe. Es beschwerte sich aber niemand. Ein zu Anfang sehr geschätzter Kollege meinte charmant, in diesem Unterkleid erinnere ich ihn an eine Figur von Tschechow.
Die frauenbewegte Freundin verschwand in den folgenden Monaten aus meinem Blickfeld in die Eso-Szene, wo sie, obwohl promovierte Theaterwissenschaftlerin, astrologisch-psycholgische sowie Unternehmensberatungen betrieb. Meine hohe Meinung von dem Kollegen schrumpfte ebenfalls ziemlich schnell. Der kochfeste Unterrock, mittlerweile zum Nachthemd umgewidmet, überdauerte dagegen ein weiteres Jahrzehnt des Gebrauchs.
Ein Projekt
Ein schwarzes Kleid von ganz ähnlichem Schnitt wie das getupfte aus Amerika. Das Besondere ist das Material: echter Seidensamt, eine Rarität unter den Stoffen, mit einmalig weichem Fall. Auf einer Seite von der Schulter abwärts bis etwa zur Brustmitte mit schwarzen Pailletten bestickt, in Form einer Blüte in auslaufendem Rankenwerk.
Das Seidensamtene hatte ich in den USA in einem „Vintage“-Laden auf Miami Beach gekauft, der voll gestopft war mit dem ganzen Glitzerplunder, wie ich ihn aus den Paketen meiner amerikanischen Großtante kennen gelernt hatte.
Jetzt war es das letzte von meinen vier "historischen" Kleidern, in verschiedenen Farben und aus verschiedenen Stoffen, aber alle geschneidert für Frauen, die zwischen 1930 und 1940 ziemlich jung, schlank und nicht allzu arm waren.
Die drei anderen hatte ich bereits im Lauf der vergangenen zehn Jahre an eine jüngere Kollegin mit mädchenhafter Ausstrahlung verschenkt. Ich hätte ihr durchaus auch das vierte gegönnt, nur war die Mädchenhafte jetzt auch schon gut über Dreißig und hatte kürzlich ihre wallenden Locken zu einer gestylten Kurzhaarfrisur stutzen lassen.
Die Mädchen der Töchtergeneration hatten einen völlig anderen Geschmack, die Verwandten der Putzfrau aus Osteuropa erwarteten brauchbare modische Alltagsbekleidung - also Flohmarkt? Aber wann? Oder gleich Müllsack?
Endlich unvermutete Entscheidungshilfe aus der Erinnerung: „In zehn Jahren gründe ich ein Seniorenkabarett, mach dir ruhig jetzt schon mal Gedanken, ich rechne mit dir.“ Die Worte einer alten Freundin, Schauspielerin an einem von der Schließung bedrohten Landestheater. In dem gleichen Telefongespräch hatte sie auch erklärt, Rente mit 65 sei für sie kein Thema, da sie sowieso nicht davon leben könne und bis zum Ende ihrer Tage arbeiten würde.
Das war mein erster konkreter Gedanke zu ihrem Projekt: Vielleicht müsste ich darin einmal die Rolle einer Frau spielen, die nicht Abschied von ihrer Jugend nehmen kann, und dafür wäre dieses Seidensamtene genau das richtige Kostüm. Ich streichelte es kurz und hängte es zurück in den Schrank.
Auch Leni
Zwei Jacken, grob gestrickt aus dickem Garn, 80% Wolle, 20% Polyamid. Beide kurz, körpernah gearbeitet, keine Taschen. Zwei-Wege-Reißverschluss, die Ärmel sind ohne Schulternaht angestrickt, gehen in Halsnähe direkt in einen Kelchkragen über. Die weinrote Jacke ist in Brust- und Schulterhöhe mit weißen Schneekristallen bestickt, bei der schwarzen ist längs des Reißverschlusses auf beiden Seiten eine weiße schmale Strickborte in einem ebenso archaisch wie dekorativ verschlungenen Muster aufgenäht.
Die Jacken waren reduziert, ich bekam zwei zum Preis von einer, aber auch das rechtfertigte nicht hinreichend den Verstoß gegen meine Gewohnheit, nur noch feinste Materialien in bequemen klassischen Schnitten zu kaufen. Sie stammten von einer Firma, die den Namen einer Bergsteigerlegende führt und sich auch der Stilvorbilder aus Heimatfilmen der Dreißiger bedient.
Wenn sie Klamotten wie Leni Riefenstahl trägt, gerät eine Person mit meiner Vergangenheit offenbar immer noch unter Rechtfertigungsdruck, muss fix ihre Haltung zu der Regisseurin von „Triumph des Willens“ definieren. Ich bin bereit, zuzugeben, dass mich trotz aller korrekten Abgrenzung die ungebrochene Vitalität und Neugierde des alten Luders immer beeindruckt hat - Tauchen lernen mit 80!
Jedoch erkannten meine jungen Kolleginnen gar nicht das historische Mode-Zitat, und niemand sagte Leni zu mir.
Aufschreiben
Zwei Hemdhöschen, beide aus feinster weißer Baumwolle, schmale Träger, in der Taille mit einem Tunneldurchzug für ein Bindeband. Im Schritt ein eingesetzter Zwickel, mit drei Wäscheknöpfen zu schließen. Der Ausschnitt aufwändig weiß in weiß bestickt, einmal eine üppige Blatt- und Blütenranke, einmal eine Reihe von Streublümchen, dazwischen zwei kunstvoll in ihrer Verknotung dargestellte Schleifen. Teile dieser Motive wiederholen sich an den Seiten des äußeren Beinabschlusses. Beide Stücke scheinen individuell gearbeitet und verziert.
Sie gehörten der Großmutter meiner Freundin, und sie hält es für denkbar, dass die Oma, eine geschickte Hausfrau der alten Schule, sie selbst für die Aussteuer gefertigt hat. Wir finden sie bei folgendem Anlass wieder: Das Hausdach wird neu gedeckt und danach werden wir aus Feuerschutzgründen unsere großen Speicherabteile verlieren. Also müssen acht Koffer voll mit Kleidern, Pelzjacken, Unterröcken, Hüten, Trachtenteilen, Lärminstrumenten, Faschingsdekorationen gesichtet werden. Jedes Stück, für das uns nicht innerhalb von 30 Sekunden eine Verwendung im künftigen Seniorenkabarett einfällt, wandert in einen Müllsack.
Auf einem alten Foto ist die junge Großmutter, schön, ernst und stolz, im Kostüm einer Spanierin zu sehen, und auch die Dimensionen der Wäschestücke lassen auf eine zwar noch nicht üppige, aber durchaus stattliche Erscheinung schließen. Das Stück mit den aufgestickten Schleifen wird in Brusthöhe von einem bläulichen Fleck verunziert, der offensichtlich allen Waschversuchen widerstanden hat, wie es bei manchen Medizinen, aber auch Rotwein der Fall ist. Ein Missgeschick beim Einnehmen eines korrekten Schlummertrunks, oder beim Leeren eines Gläschens in dekorativer, aber nicht ganz korrekter Bekleidung? Der Großvater, erinnert sich meine Freundin, war ein Bewunderer von Schönheit und nannte seine Gattin „mein Glück“.
Im Schritt des Stücks mit der Blatt-und Blütenranke ist, stark ausgewaschen, aber immer noch erkennbar, eine Spur von Blut. „Kulturgeschichte“, sagt meine Freundin, “wir vernichten Kulturgeschichte des Alltags.“ Ich verspreche, wenigstens einige der Kleidergeschichten, die an diesem Abend erinnert wurden, aufzuschreiben. Meine Freundin haucht einen Kuss auf die Wäschestücke der Oma selig, und nach dieser Verabschiedung verschwinden sie endgültig in dem schon fast vollen blauen Sack.
Zeitlos
Eine Steppjacke, moosgrün, gerader Schnitt, hüftbedeckend, Druckknöpfe aus Metall. Bis auf den Baumwollcordbelag am Kragen vollsynthetisches Material, maschinenwaschbar. Zwei große Außentaschen, eine Innentasche.
Ein Hut, Marke Stetson, haselnussbrauner Filz, klassische Herrenhutform, erdfarbenes Wildlederband mit einem kleinen Gesteck aus Häherfedern. Wasserabweisend ausgerüstet.
Die Jacke habe ich bei einem britischen Versandhaus bestellt, das Spezialitäten von der Insel vertreibt und in seiner Bekleidungssparte einen konservativ-sportlichen Stil pflegt.
Meine Freundin schenkt mir den Hut dazu. Ich bin erstaunt, dass eine amerikanische Firma Modelle herstellt, die aussehen wie bayerische Trachtenklassiker, nur schöner.
Eigentlich mag ich gar keine Hüte, weil sie Frisuren zerstören, aber der ist für eine Zeit bestimmt, in der ich keine Frisur mehr haben muss, nur gelegentlich einen Haarschnitt. Den struppigen Hund zum Spazierengehen schenke ich mir selbst, wenn wir aufs Land ziehen.
Marina Dietz
2005