KABARETTcetera
Unglaublich aber wahr: Es gab eine Zeit, da galt es als etwas furchtbar Gewagtes, wenn zwei junge Leute beschlossen: "Wir machen Kabarett!"
Rüdiger Schablinski, angehender Journalist, und Anglistikstudentin Marina Dietz haben es gemacht, unter dem Namen "Spiel&Spottverein", mit mehr als 17 Programmen im Lauf von 14 Jahren.
Und immer in Augsburg, bekannt als Fuggerstadt und, damals weniger bekannt, als die Geburtsstadt von Bertolt Brecht.
Augsburg war, gemessen an der Zahl der Einwohner, keine Kleinstadt, aber gefühlt - von uns - ein Einödhof. Und brauchte dringend den Stachel der Satire, also uns natürlich.
Eines der ersten Themen des Spiel&Spottvereins: die aktuelle Debatte um den o.g. wenig geliebten Sohn der Stadt - soll Augsburg diesen Kommunisten überhaupt zur Kenntnis nehmen, oder gar ehren, und wenn doch, auf welche sparsam lechschwäbische Weise?
Pressestimmen
"...Zwischen Schablinskis stacheligen Kakteen der Brettlkunst erblüht gleich einer Lilie Marina Dietz, ein liebliches Mädchen mit Gitarre - aber oh weh, sie entpuppt sich als ausgesprochen böse Emanze..." (Süddeutsche Zeitung 1974)
"...andere Kabaretts besitzen auch keine Marina Dietz, die wir für eine der besten Chansonetten dieser Jahre halten..." (Bayerischer Rundfunk regional 1976)
Was ist bittschön eine Chansonette?
Sowas Ähnliches wie eine Diseuse. Alles klar?
Andere Bezeichungen standen den Kritikern noch nicht zur Verfügung, wenn eine Person, weiblich, eigene Texte vortrug, mal gereimt, mal nur rhythmisiert, mal eigenhändig auf der Gitarre begleitet, mal mit Playback, mal Gesang, mal Sprechgesang.
Heute würde Marina mit 19 wohl eher als Rapperin starten oder bei Poetry Slams mitmachen, Möglichkeiten, die damals noch nicht probiert wurden. Das heißt, probiert schon:
Der Versuch von Raoul Hoffmann (später Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk) in Augsburgs erster Disco wurde nicht wiederholt.
Für kritische Texte in öffentlicher Präsentation blieb für Frau dann nur das Kabarett,, hier also der Spiel&Spottverein in Augsburg. Und auch das ging nicht ohne Diskussionen über Sinn und Form:
Rüdiger: (SEHR vorsichtig) Also Marinchen, dieser Text über eine kaputte Beziehung, das passt doch nicht wirklich in ein politisches Kabarettprogramm...
Marina: (empört) Hah! Wieder dieser bürgerliche Irrtum! Das Private ist immer auch politisch! Wie ist das zum Beispiel mit deinem Schwulsein, das du in der Öffentlichkeit verstecken musst...
Rüdiger: (schneller Abgang)
Der kritische Journalist Schablinski hat sich mit Marinas Texthybriden abgefunden, und sie hat bei der Arbeit mit ihm gelernt, auch geradlinige politische Satire zu schreiben und auf die Bühne zu bringen.

( hier Inga Grüttner als friedliche Demonstrantin,
beschützt von Rüdiger Schablinski und Bernd Reining)
Apropros Bühne: am ersten Spielort gab es eine solche überhaupt nicht, dann in einem Kellergewölbe aus dem 17.Jahrhundert wurde sie von Freunden gebastelt (Wetten über ihre Haltbarkeit wurden vor jeder Vorstellung abgeschlossen, aber Marina, die Pessimistin hat dauerhaft verloren) und erst am nächsten Spielort, wieder in einem Wirtshaus-Nebenraum, hatte die Truppe einigermaßen stabile Bretter unter den Füßen.
"Nun haben sie wieder zugeschlagen, die Spieler und Spötter vom Thorbräu-Keller, schnell, hart und treffsicher, wie man es von ihnen gewöhnt ist..." (Süddeutsche Zeitung 1979)
Glücklicherweise war der Spiel&Spottverein nie auf belehrendes ThesenTheater eingeschworen - auch wenn es nach jedem Besuch eines Programms des "Rationaltheater" in München hieß: "Leute, wir müssen auch politischer und aggressiver werden!"
Dank eines technikbegeisterten Mitarbeiters im Hintergrund kamen schon früh neue Mittel zum Einsatz: Musik- und O-Ton-Zuspielungen, Diaprojektionen, Schmalfilm, aber auch andere Spielformen wie Pantomime und Kasperltheater....
mit Inga Grüttner (mit Streichpsalter) im Programm "Guldur"
Für ein Kabarett der Halbprofis war der Spiel&Spottverein erstaunlich langlebig: zu der Stammbesetzung Schablinski/Dietz kamen immer wieder wechselnde Co-Autoren und Mitspieler, darunter ein protestantischer Pfarrer und ein echter Bühnen-Mime.
Und nachdem in den ersten Jahren, mehr oder weniger gelungen, Rüdigers und Marinas Texte durch Zuruf aus dem Ensemble ( "...du musst schneller abgehen, außerdem sieht dieser Hut total bescheuert aus...") in Szene gesetzt wurden, brachte am Ende ein Regieassistent an den Städtischen Bühnen Augsburg, Stefan Schön, Professionalität in die Präsentation.
Rüdiger Schablinski Solo
Ja, und jetzt hat Marina auch endlich mal die Geschichte dieses Spiel&Spottvereins geschrieben,
die Geschichte einer zeittypischen Kleinkunsttruppe,
eine Geschichte, die begann, als die Theater unpolitisch waren und die Medien Biederkeit verbreiteten,
in einer Zeit VOR Fernsehsatire und Comedy.


Erschienen ist das Buch im Wissner-Verlag Augsburg unter dem Titel "Johann, hissen Sie die rote Fahne - Rüdiger Schablinski und sein Kabarett Spiel&Spottverein.
Nach unserem letzten Programm im Thorbräukeller (mit nachfolgender Krise der Textschreiber) hätten wir beinahe noch einen Schauspieler des Augsburger Stadttheaters mit offensichtlicher satirischer Begabung und einer guten Singstimme für unser Ensemble gewonnen, aber dann wurde dieser Harald Schmidt von Kay Lorentz für sein "Kommödchen" weg engagiert.
Das "Kommödchen" in Düsseldorf war als eines der großen Ensemble-Kabaretts mit festem Spielort eigentlich damals schon ein Auslaufmodell, und auch die kleinen Kellerkabaretts hatten, trotz einiger regionaler Wiederbelebungsversuche, kaum mehr Bedeutung in der neuen mediengestützten Satirelandschaft.
Marina zog nach München, schloss endlich ihre Dissertation bei Christian Enzensberger ab,
knüpfte erste Kontakte zum Bayerischen Rundfunk.

Ein junger ehrgeiziger Kollege aus dem Allgäu wollte aber doch wieder Kabarett machen, diesmal in München.
So entstand mit Jockel Tschiersch das Programm: "Wir verweigern den Streudienst".
Spielort: Das "Hinterhoftheater" im Wirtshaus am Hart mit seinem umtriebigen Leiter Günter Knoll.
Es folgte "Lieber Rat als Tat", eine Satire auf die neue Esoterik-Welle. Das war auch Marinas letztes Programm, denn jetzt musste eine Entscheidung getroffen werden: Kabarett oder Funkarbeit als Hauptberuf? (Jockel hat sich fürs Kabarett in neuer Form entschieden.)
Eine Liste aller Kabarettprogramme mit Text- und Spielbeteiligung von Marina siehe FAKTEN
Zwei Bühnen-Kuriosa
1. Es gab auch, zusammen mit Rüdiger Schablinski, ein kurzes Gastspiel bei der Augsburger Puppenkiste und deren Marionettenkabarett. Den beiden Schreibern hat der Ausflug Vergnügen bereitet, die Kritik hat ihn positiv vermerkt, trotzdem ist es bei einem Ausflug geblieben - das Ensemble konnte und wollte sich damals keine Fremdbeiträge mehr leisten...
"Wenn nur diese biederen Kalauer in den Umbaupausen nicht wären, könnte man dem Kabarett der Augsburger Puppenkiste reinen Gewissens eine Bestnote ins Stammbuch schreiben. Dass trotzdem kein bitterer Nachgeschmack bleibt, ist zweierlei zu verdanken ... zum einen der hohen Kunst der Puppenspieler, zum anderen den Texten zweier bekannter Augsburger Kabarettprofis..." (Süddeutsche Zeitung 1981)
2. Bevor Marina von der Arbeit für den Bayerischen Rundfunk hauptberuflich beansprucht wurde, kam noch eine Produktion mit dem Theater der Jugend in München zustande:
"Brennende Probleme zornig, witzig und rasant aufbereitet..." ( Münchner Merkur 1984)
Marinas einziges Theaterstück war aber genau genommen kein Fachwechsel - "Echt Ätzend" ist eine satirische Szenenfolge zum Thema Umweltzerstörung, erarbeitet mit den drei Schauspielern der Erstaufführung. Danach hat die Arbeit für den Hörfunk jahrelang die Formen ihres Schreibens bestimmt.
Und jetzt?
"Greisenstudium" von Melchior Schedler
Wir, die Nachkriegsgeneration, lassen uns ungern in die Rolle von Konsumtrotteln hineinschmeicheln,
und wir verstummen selten altersmild, allenfalls dement.
Das Seniorenstudium - eine Alternative? Hörsaalplätze für Kunstgeschichte oder Philosophie belegen? Kommt nicht in die Tüte.
Wir haben immer noch oder wieder Lust auf Satire, sogar Kabarett, mit der Weltbetrachtung aus dem Lebensgefühl von uns Dreißigjährigen, denen Mitmenschen und ärztliche Befunde einreden wollen, sie seien doppelt so alt - mindestens.
Das Intro von "Born to bei Wild" kann ich schon, und mein Gitarrelehrer will mir ein paar Riffs von Jimi Hendrix beibringen. Ich fürchte nur, meinesgleichen wäre bei einem abendfüllenden Programm ohne Lesebrillen und einen Souffleur aufgeschmissen.

Trotz alledem: wir haben noch was zu sagen!
Mit lachlustigen Misanthrophen
(d.h:."Menschenfeinde", wird gerne als Kampfbegriff von berufsmäßigen Menschenfreunden gegen Personen eingesetzt, die deren Ratgeber zur Lebensbewältigung nicht kaufen)
und optimistischen Skeptikern jeden Alters,
etwas erfahren mit Schreiben und/oder einem Musikinstrument,
am besten auch mit Auftrittspraxis jenseits von Kindergeburtstagen,
würde ich nach wie vor gerne
zum Zwecke schwarzhumoriger Verlautbarungen
zusammenarbeiten, oder vielmehr: spielen.
Greisengespräche / Szene 3

M. ( Mann) und F. ( Frau) , beide deutlich nicht mehr jung, nebeneinander sitzend, starren eine Weile vor sich hin, bevor sie zu reden anfangen.
F.:
Und was machen Sie am Nachmittag?
M.:
Ich werde ein Loch in die Luft starren.
F.:
Nur eines? Ich hab heute schon drei gestarrt.
M.:
Meins wird dafür größer. Aber immer nur eines pro Tag. Man soll sich nicht verzetteln.
weiterlesen ...
F.:
Aha. Und an was für eine Art Loch denken Sie da?
M.:
Ehrlich gesagt, ich überlege noch. Haben SIE einen Vorschlag?
F.:
Wie wär´s mit einem schwarzen Loch?
M.:
Oho! Sie wissen schon, dass es sich dabei um ein Objekt handelt, dessen Gravitation so extrem stark ist, dass es sozusagen alles an Materie schluckt, aber heraus kommt nichts, nicht mal ein Lichtstrahl. Solche Körper verformen die Raum-Zeit um sich herum...
F.:
Kenn ich. Ich war mit sowas mal verheiratet.
M.:
Sie müssen aber unterscheiden zwischen supermassereichen, mittelschweren und stellaren schwarzen Löchern. Und da wären noch die schwarzen Mikro-Löcher...
F.:
Wow! Woher wissen Sie das alles?
M.:
Ich bin Physiker, Spezialgebiet Quantenphysik.
F.:
Also wenn Sie hier sitzen, SIND Sie nicht sondern WAREN das. Also - was sind Sie jetzt, seit der Pensionierung?
M.
Ich wollte natürlich weiter tätig sein, ehrenamtlich.
F.:
Als Quantenphysiker?
M.:
Naja, irgendwas sinnvolles, wo man sein Wissen noch einbringen kann.
F.:
Hausaufgabenbetreuung?
M.
Ja, war aber kein Erfolg. Mein Schüler hat zwar die String-Theorie bemerkenswert schnell kapiert, aber das hat ihm beim Abi auch nicht geholfen.
F.:
Und warum nicht gleich was ganz anderes, was praktisches, sozial nützliches?
M.:
Ich hab dann für den regionalen Verschönerungsverein die Ziergrünflächen gepflegt und den Müll im Park aufgesammelt. Bis ich den Mann kennen gelernt hab, den die Gemeinde gefeuert hat. Weil sie ihn hat einsparen können, wegen uns, den Ehrenamtlichen. Und jetzt...
F.:
...jetzt tun Sie hier lieber was wirklich Sinnvolles.
M.:
Genau. Wie Sie auch. Also, machen wir weiter.

Sie starren wieder vor sich hin.
F.:
Darf ich fragen, was für eine Art von Loch Sie jetzt gerade in die Luft starren?
M.:
Ich versuche ein schwarzes Mikro-Loch.
F.:
Oh, die sind aber extrem kurzlebig und eigentlich nur im Labor herzustellen.
M.:
Nanu, woher wissen Sie...sind Sie etwa auch...
F.:
Nein nein, hab nur mal so eine Führung gemacht in einem Teilchenbeschleuniger, im Cern.
M.:
Dann wissen Sie auch, dass es da schon Gerichtsprozesse gab, um die Herstellung solcher Löcher zu verbieten, weil die angeblich gefährlich sind. Sie könnten mich jetzt auch verklagen.
F.:
Psst! Da kommt der Pfleger.
M.
Was, der neue, der mit dem Mundgeruch?
F.:
Ja, der. Brrr.
M.
Und das IST ein Mundgeruch. Sowas fällt doch unters Betäubungsmittelgesetz...
F.:
Hah! Er geht in die andere Richtung!
M.
Stört es Sie, wenn ich jetzt weiter versuche, mir ein schwarzes Loch zu starren?
F.:
Machen Sie nur. Auf eines mehr oder weniger kommt es nicht an.
M.:
Wie meinen...?
F.:
Das Land ist doch voll davon! Wohin, frag ich Sie, verschwinden jeden Monat meine Krankenkassenbeiträge? Oder unsere Steuern? Oder mein Wählerwillen mitsamt den Wahlversprechen vom Vorjahr? Alles wird geschluckt und nichts kommt mehr zurück. Das ist doch typisch schwarzes Loch.
M.
Hm, interessante Theorie...
F.:
Was Theorie? Wenn nicht die schwarzen Mikrolöcher schuld sind, wer oder was dann?
M.
Ehrlich gesagt, das ist mir zu politisch. Ich bin Naturwissenschaftler und würde mich jetzt lieber auf mein Loch konzentrieren...
F.:
Scheiße. Da kommt der Pfleger wieder.
M.:
Keine Panik. Schauen Sie genau hin....
F.:
Oh! Er ist weg! Puff - einfach so! Waren Sie das?
M.:
Nicht ich. Das veränderte Raum-Zeit-Gefüge des von mir gestarrten schwarzen Lochs.
F.:
Faszinierend. Und Sie sind sicher, das spuckt ihn nicht wieder aus, wegen dem Mundgeruch beispielsweise?
M.:
Naja, der Physiker Stephen Hawking hat eine Theorie über sogenannte primordiale schwarze Löcher entwickelt, die schlucken nicht nur Materie, sondern setzen sie auch wieder frei...
F.:
Und da ist er schon wieder! Sie haben wohl nur ein primordiales Loch zustande gebracht. Oh Gott, er kommt näher. Der Mundgeruch, ich halte das nicht aus. Könnten nicht WIR stattdessen in das Loch...
M.:
Ich hätte nicht gewagt, Ihnen das vorzuschlagen...
( sie stehen beide auf, er reicht ihr den Arm)
Kommen Sie.
F.: (etwas beklommen)
Und wie fühlt sich das an, wenn man da hinein gerät, kriegt man einen elektrischen Schlag?
M.:
Also die Grenze des "Lochs" ist der sogenannte Ereignishorizont. Das ist aber kein physisches Gebilde, das bezeichnet nur einen Ort, oder genauer, eine Grenzfläche. Der Beobachter, der, rein theoretisch, diesen Ereignishorizont durchstößt, würde selbst gar nichts davon merken.
F.:
Ja und die anderen, die draußen bleiben?
M.
Für einen zweiten, weiter entfernten Beobachter braucht dann der betrachtete Körper, aufgrund der Zeitdilatation, unendlich lang bis er den Ereignishorizont erreicht, wobei er zunehmend in rot verschobenem Licht erscheint und lichtschwächer wird.
F.
...der betrachtete Körper am Ereignishorizont, in rot verschobenem Licht, das ist ja Poesie. Erotische! Aber Moment - wenn wir selbst nicht merken, ob wir drinnen oder draußen sind - das kann ja bedeuten, wir SIND schon drinnen im Loch, vielleicht die ganze Zeit schon!
M.
Theoretisch ja.
F.: ( schaut zweifelnd ins Publikum)
Und die anderen da, die sehen uns dann nicht, oder höchstens rot verschoben lichtschwach?
M.:
Richtig. Naja, es sei denn --- die sind selber auch schon drinnen.
F.: ( nüchtern )
Das heißt: man hat nie Ruhe vor den Leuten. Nicht mal in seinem selbst gestarrten schwarzen Loch.