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F.:
Aha. Und an was für eine Art Loch denken Sie da?
M.:
Ehrlich gesagt, ich überlege noch. Haben SIE einen Vorschlag?
F.:
Wie wär´s mit einem schwarzen Loch?
M.:
Oho! Sie wissen schon, dass es sich dabei um ein Objekt handelt, dessen Gravitation so extrem stark ist, dass es sozusagen alles an Materie schluckt, aber heraus kommt nichts, nicht mal ein Lichtstrahl. Solche Körper verformen die Raum-Zeit um sich herum...
F.:
Kenn ich. Ich war mit sowas mal verheiratet.
M.:
Sie müssen aber unterscheiden zwischen supermassereichen, mittelschweren und stellaren schwarzen Löchern. Und da wären noch die schwarzen Mikro-Löcher...
F.:
Wow! Woher wissen Sie das alles?
M.:
Ich bin Physiker, Spezialgebiet Quantenphysik.
F.:
Also wenn Sie hier sitzen, SIND Sie nicht sondern WAREN das. Also - was sind Sie jetzt, seit der Pensionierung?
M.
Ich wollte natürlich weiter tätig sein, ehrenamtlich.
F.:
Als Quantenphysiker?
M.:
Naja, irgendwas sinnvolles, wo man sein Wissen noch einbringen kann.
F.:
Hausaufgabenbetreuung?
M.
Ja, war aber kein Erfolg. Mein Schüler hat zwar die String-Theorie bemerkenswert schnell kapiert, aber das hat ihm beim Abi auch nicht geholfen.
F.:
Und warum nicht gleich was ganz anderes, was praktisches, sozial nützliches?
M.:
Ich hab dann für den regionalen Verschönerungsverein die Ziergrünflächen gepflegt und den Müll im Park aufgesammelt. Bis ich den Mann kennen gelernt hab, den die Gemeinde gefeuert hat. Weil sie ihn hat einsparen können, wegen uns, den Ehrenamtlichen. Und jetzt...
F.:
...jetzt tun Sie hier lieber was wirklich Sinnvolles.
M.:
Genau. Wie Sie auch. Also, machen wir weiter.
Sie starren wieder vor sich hin.
F.:
Darf ich fragen, was für eine Art von Loch Sie jetzt gerade in die Luft starren?
M.:
Ich versuche ein schwarzes Mikro-Loch.
F.:
Oh, die sind aber extrem kurzlebig und eigentlich nur im Labor herzustellen.
M.:
Nanu, woher wissen Sie...sind Sie etwa auch...
F.:
Nein nein, hab nur mal so eine Führung gemacht in einem Teilchenbeschleuniger, im Cern.
M.:
Dann wissen Sie auch, dass es da schon Gerichtsprozesse gab, um die Herstellung solcher Löcher zu verbieten, weil die angeblich gefährlich sind. Sie könnten mich jetzt auch verklagen.
F.:
Psst! Da kommt der Pfleger.
M.
Was, der neue, der mit dem Mundgeruch?
F.:
Ja, der. Brrr.
M.
Und das IST ein Mundgeruch. Sowas fällt doch unters Betäubungsmittelgesetz...
F.:
Hah! Er geht in die andere Richtung!
M.
Stört es Sie, wenn ich jetzt weiter versuche, mir ein schwarzes Loch zu starren?
F.:
Machen Sie nur. Auf eines mehr oder weniger kommt es nicht an.
M.:
Wie meinen...?
F.:
Das Land ist doch voll davon! Wohin, frag ich Sie, verschwinden jeden Monat meine Krankenkassenbeiträge? Oder unsere Steuern? Oder mein Wählerwillen mitsamt den Wahlversprechen vom Vorjahr? Alles wird geschluckt und nichts kommt mehr zurück. Das ist doch typisch schwarzes Loch.
M.
Hm, interessante Theorie...
F.:
Was Theorie? Wenn nicht die schwarzen Mikrolöcher schuld sind, wer oder was dann?
M.
Ehrlich gesagt, das ist mir zu politisch. Ich bin Naturwissenschaftler und würde mich jetzt lieber auf mein Loch konzentrieren...
F.:
Scheiße. Da kommt der Pfleger wieder.
M.:
Keine Panik. Schauen Sie genau hin....
F.:
Oh! Er ist weg! Puff - einfach so! Waren Sie das?
M.:
Nicht ich. Das veränderte Raum-Zeit-Gefüge des von mir gestarrten schwarzen Lochs.
F.:
Faszinierend. Und Sie sind sicher, das spuckt ihn nicht wieder aus, wegen dem Mundgeruch beispielsweise?
M.:
Naja, der Physiker Stephen Hawking hat eine Theorie über sogenannte primordiale schwarze Löcher entwickelt, die schlucken nicht nur Materie, sondern setzen sie auch wieder frei...
F.:
Und da ist er schon wieder! Sie haben wohl nur ein primordiales Loch zustande gebracht. Oh Gott, er kommt näher. Der Mundgeruch, ich halte das nicht aus. Könnten nicht WIR stattdessen in das Loch...
M.:
Ich hätte nicht gewagt, Ihnen das vorzuschlagen...
( sie stehen beide auf, er reicht ihr den Arm)
Kommen Sie.
F.: (etwas beklommen)
Und wie fühlt sich das an, wenn man da hinein gerät, kriegt man einen elektrischen Schlag?
M.:
Also die Grenze des "Lochs" ist der sogenannte Ereignishorizont. Das ist aber kein physisches Gebilde, das bezeichnet nur einen Ort, oder genauer, eine Grenzfläche. Der Beobachter, der, rein theoretisch, diesen Ereignishorizont durchstößt, würde selbst gar nichts davon merken.
F.:
Ja und die anderen, die draußen bleiben?
M.
Für einen zweiten, weiter entfernten Beobachter braucht dann der betrachtete Körper, aufgrund der Zeitdilatation, unendlich lang bis er den Ereignishorizont erreicht, wobei er zunehmend in rot verschobenem Licht erscheint und lichtschwächer wird.
F.
...der betrachtete Körper am Ereignishorizont, in rot verschobenem Licht, das ist ja Poesie. Erotische! Aber Moment - wenn wir selbst nicht merken, ob wir drinnen oder draußen sind - das kann ja bedeuten, wir SIND schon drinnen im Loch, vielleicht die ganze Zeit schon!
M.
Theoretisch ja.
F.: ( schaut zweifelnd ins Publikum)
Und die anderen da, die sehen uns dann nicht, oder höchstens rot verschoben lichtschwach?
M.:
Richtig. Naja, es sei denn --- die sind selber auch schon drinnen.
F.: ( nüchtern )
Das heißt: man hat nie Ruhe vor den Leuten. Nicht mal in seinem selbst gestarrten schwarzen Loch.