Leben bis zum Ende
---"Etwas Schlimmeres als den Tod finden wir allemal!" Frau Doktor Schwarzgall setzte ihr Glas geräuschvoll auf der marmornen Tischplatte ab. "Und wenn Sie mich begleiten möchten..."
Sie seufzte und sah dem schnell entschwindenden greisen Dichter nach. "Dabei habe ich ihm doch noch gar nicht gesagt, welches Tier er darstellen soll!" murmelte sie enttäuscht.

zit. aus:
UNSER CAFE,
von Marina Dietz und Melchior Schedler
Schon früh war mir bewußt, dass es Schlimmeres als den Tod geben könne, beispielsweise einen Zustand künstlich verlängerten Lebens durch die Apparatemedizin. Deshalb trat ich der neu gegründeten "Gesellschaft für humanes Sterben" bei.
Die DGHS hatte damals noch ihren Sitz in Augsburg, und ich bekam den Auftrag, für den Bayerischen Rundfunk ein Interview mit dem Vorsitzenden Hans Henning Atrott zu machen.
Seine philosophisch gestärkten Ausführungen über ein selbstbestimmtes Ende als Abschluss eines guten Lebens hätten auf Papier gedruckt ihre Überzeugungskraft besser entfaltet; der Sprecher wirkte auf mich verschattet und angespannt, immer bereit Angriffe abzuwehren - die ja auch nicht ausblieben!
Zyankali für schwerst kranke Sterbewillige zu besorgen, und das demonstrativ öffentlich, war allerdings eine provokante Aktion, die prompt und fast erwartungsgemäß mit einem juristischen Gegenschlag erwidert wurde.
Damals konnte man auch ohne große Schwierigkeiten eine Broschüre "Menschenwürdiges und selbstverantwortliches Sterben" erhalten, mit Hinweisen zur Rechtssituation und Möglichkeiten der "Selbsterlösung".
Ich wußte davon, fand die Vorstellung beruhigend - und bin, Jahrzehnte später, immer noch gerne unter den Lebenden. Darf ich das als Argument dafür nehmen, dass nicht nur todessüchtige Neurotiker sich Gedanken über ein selbstbestimmtes Ende machen?
Die leisere, aber beharrliche Arbeit der DGHS in den folgenden Jahren, nach der Trennung von ihrem ersten Präsidenten, erzielte einige dauerhafte Fortschritte: Das Patiententestament wurde angestoßen, immer wieder verbessert und ins Bewußtsein der Ärzte gerückt.
Die Diskussionen um das Thema brachten, als eine weitere Möglichkeit würdigen Sterbens, auch die Hospizbewegung in Deutschland voran.

Das am 6. November 2015 verabschiedete neue "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" macht nun aber jegliche "wiederholte" Beihilfe zum Suizid strafbar, selbst dann, wenn der Helfer damit keinen Gewinn erzielt. Ein Rückfall in einen längst überholt geglaubten staatlichen Paternalismus und ein Rückschlag für jahrelange Aufklärungsarbeit!
Und nach all den Diskussionen, die sich über zwei Jahre hinzogen - wie kommt es zu einem so windigen Ergebnis?
Das frage ich mich, und zwar nicht für einen Verein oder eine Organisation, sondern als Individuum gegen politische Fremdbestimmung, kurz IGEPOLFRE. Klingt das ? Eher weniger. Vielleicht "gegen politischen Paternalismus, IGEPOLPAT? Auch nicht wirklich. Oder ganz einfach: "Gegen Anmaßung"? "Arroganz?" Gut, dann also jetzt ein paar Fragen von mir, IGEPOLA!
Erwartet haben wir wohl alle, dass dieses neue Gesetz mehr Rechtssicherheit bringen sollte. Tut es aber nicht, denn Schwammbegriffe sorgen mit den darin enthaltenen Auslegemöglichkeiten nun erst recht für Verunsicherung!
"...der neue § 217 StGB (wird) nicht nur die Gerichte, sondern auch die Strafrechtswissenschaft wohl noch intensiv beschäftigen ..." schreibt Dr. Eric Hilgendorf, Professor für Strafrecht und Rechtstheorie, in einem Kommentar.
Na servus!

  • Ist das der Unfähigkeit der Verfasser des Gesetzestextes geschuldet oder sogar Absicht?

  • Haben die Abgeordneten aller Parteien, auch Sozialdemokraten und Grüne, die dem Entwurf zustimmten, das auch wirklich gewollt oder einfach nicht kapiert, was sie da abnicken?
Über das Thema wurde während der Debatte und nach der Abstimmung in allen Medien viel geschrieben und geredet, Bedenkenswertes, aber auch, vor allem von den Verfechtern des neuen Gesetzes, nur scheinbar Sachliches.
Dazu weitere Fragen von mir, IGEPOLA:
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Ich habe eine hohe Meinung von Hospizbewegung, Palliativmedizin und ihren Leistungen für ein menschenwürdiges Lebensende. Um so befremdlicher fand ich in Diskussionen die manchmal geradezu aggressive Abgrenzung gegen die schnellere Erlösung. Genauer: gegen die Sterbehelfer, die bösen, die der Ärzteschaft den Verstoß gegen ihr Ethos zumuten möchten.
  • Empfindet man sie etwa als die attraktivere Konkurrenz, die eine Hospizarbeit in Frage stellt?

  • Warum kann man nicht beide als Helfer sehen, Begleiter auf verschiedenen Wegen zum Ende, zwischen denen der Patient die Freiheit hat zu wählen?

Nur ein einziges Mal hörte ich von einem Hospizarzt: "Ja, es gibt Formen von Leiden, da können auch wir mit unseren Mitteln nicht helfen."
  • Ist es denn so schwer zuzugeben, dass man nicht allmächtig ist?


Ich, IGEPOLA, habe immer Maßnahmen begrüßt und in meinem Berufsleben mitgetragen, die Menschen mit Behinderung mehr Autonomie und Lebensqualität verschaffen. Nun hörte ich in Diskussionen Folgendes: Wenn ich selbst eine schwere Behinderung und den völligen Verlust an Selbständigkeit nicht ertragen möchte, stelle ich damit das Lebensrecht anderer "Schwächerer" in Frage.
  • Wer hat den Behinderten und ihren Verbandvertretern das eingeredet?

  • Wer aus seinem Leben auch unter schwierigsten Bedingungen den letzten Tropfen Freude herausholen will, soll jede Hilfe dafür bekommen, es ist sein Menschenrecht. Aber warum ist es nicht mein Menschenrecht, den Verzicht darauf zu wählen?

Garantiert mir etwa nicht das Grundgesetz in Art. 1 und 2 Abs. 1 die Freiheit, über das eigene Lebensende zu entscheiden?






Es gibt rund um das Thema Altern mit all seinen unerfreulichen Begleiterscheinungen schon eine ganze Reihe von künstlerischen Bearbeitungen, Filme, Fernsehspiele.
Das Positive an solchen Produktionen: Auch Schauspieler 55 plus bekommen noch einmal eine größere Rolle.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen,
(z.B. Michael Haneke: Liebe)
sind diese Geschichten jedoch so verlogen wie die meisten Argumente der Politiker in der Debatte um die Sterbehilfe.
Demenz ist
weder, wie oft behauptet, eine "normale" Alterserscheinung
noch ein Thema für honigsüße Komödien,
sondern eine schlimme Krankheit, die, obwohl sie überwiegend in hohem Alter auftritt, genetisch bedingt auch jüngere Menschen treffen kann.
Wie aber verhält man sich im Angesicht einer drohenden Zerstörung seiner Persönlichkeit?
Ich habe vor einiger Zeit eine sehr beunruhigende, aber auch bewegende Geschichte in meinem Bekanntenkreis erlebt, die ich gerne Anderen mitteilen möchte, die ein offenes Ohr für die damit verbundene Problematik haben:
Abschied vor der Auslöschung
oder
Letzte Ausfahrt Helvetia
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Ein Mann, Ende Vierzig, (verwandt mit dem sehr guten Freund, von dem ich dies alles erfahren habe) bisher gesund, sportlich, spät geschlossene, aber gute Ehe, zwei Kinder, 9 und 12, anstrengender, aber gerne ausgeübter Beruf, bemerkt bei sich selbst vor nunmehr anderthalb Jahren häufige Konzentrationsschwierigkeiten, zunehmende Vergesslichkeit, Gedächtnislücken. Mach mal einen langen Urlaub, heißt es.
Doch das hilft wenig bis nichts. Bevor nun ein Sabbath-Jahr vereinbart wird, sucht er, gedrängt von seiner Frau, den Hausarzt auf, der ihn eher routinemäßig zu einem Neurologen schickt.
Ich kürze ab: Untersuchungen und Beobachtungen über einige Zeit hinweg ergeben Niederschmetterndes: Der Mann leidet unter einer eher seltenen und genetisch bedingten Form von Demenz mit unaufhaltsamer Degeneration, die im Vergleich zur bekannteren Altersdemenz geradezu im Zeitraffer voranschreitet.
Der Krankheitsverlauf ist absehbar: Der Patient wird in naher Zukunft seine Erinnerungen verlieren, alles, was seine Persönlichkeit ausmacht, am Ende auch die Kontrolle über die Ausscheidungsorgane. Wie lange allerdings ein gesunder und gut trainierter Körper in diesem Zustand in einem Pflegeheim weiter existieren kann, ist unklar.

Doch der Mann, von dem die Rede ist, war immer gewohnt, im Beruf wie im Leben Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen, und nach dem ersten Schock sucht er den Kontakt zu einer Organisation in der Schweiz.
Dort ist man zunächst zurückhaltend, fordert medizinische Gutachten, persönliche Vorgespräche. Die mitgebrachten Überprüfungsdaten und Testergebnisse, die ein fast monatlich sich verschlechterndes Ergebnis der kognitiven Fähigkeiten zeigen, überzeugen auch die Schweizer Mitarbeiter von der Realität der Krankheit und dem Ernst des Anliegens.
Schnelles Handeln wird dennoch nicht unterstützt, immerhin ist Demenz keine Krankheit, die ursächlich zum Tode führt, man kürzt also nicht einen unerträglich schmerzhaften Leidensweg ab, sondern man beendet eine Existenz, die der Betroffene für sich als unwürdig und unerträglich empfindet, und das noch bevor sich dieser Zustand in vollem Umfang eingestellt hat!
Allerdings: Wartet man, bis die Krankheit zu weit fortgeschritten ist, kann der Betroffene vielleicht nicht mehr als mündige Person gelten, die ihren anhaltenden Willen eindeutig bekunden kann - was soll man dann tun?

Mittlerweile reagieren Verwandte und Bekannte erschrocken auf das Unheil, und wie so oft in solchen Fällen von Hilflosigkeit wird hektisch beschwichtigt, man zitiert Zeitungsberichte, dass Demenzkranke eigentlich ganz glücklich seien in ihrer schrumpfenden Welt, eine Art zweite Kindheit erleben. Gerne wird auf das Beispiel Walter Jens und seinen Bauernhof mit den Streicheltieren verwiesen.
Das lässt nicht viel Verständnis erwarten für den Entschluss des Mannes, den Weg in die Auslöschung durch eine eigene Entscheidung abzukürzen. Deshalb werden nur absolut Vertrauenswürdige in das Vorhaben eingeweiht - es könnte ja leicht durch ( vermeintlich) Wohlmeinende vereitelt werden, die hier nur einen Fall für die Psychiatrie sehen.
Aber auch den allernächsten Freunden und Angehörigen fällt die vorbehaltlose Zustimmung für diesen Abschied nicht leicht, auch die Ehefrau sieht zunächst nur angstvoll die Lücke, das Verschwinden des Lebenspartners. Erst durch lange Gespräche verändert sich ihr Gefühl und sie ist bereit (wie sie auch meinem Freund erklärt) aus Liebe zu ihrem Mann seinen Entschluss mit zu tragen und ihn bis zum Ende zu begleiten.
Noch schwieriger wird es mit den Kindern, die das Unheil spüren, aber noch nicht rational verarbeiten können. Und wie sollen sie auch zwischen den zwei schrecklichen Alternativen wählen: einem Vater, der sich plötzlich aus ihrem Leben verabschiedet, und einem Mann, der diesem zwar äußerlich ähnelt, seine Söhne aber nicht mehr erkennen wird? Mit der Last dieser Entscheidung müssen die Eltern fertig werden.

Inzwischen ist die Krankheit so weit fort geschritten, dass Phasen der völligen Klarheit nur noch wie Inseln aus der Verwirrung auftauchen. Die Angst des Mannes wächst zunehmend, und nun ist die Organisation bereit, schnell einen endgültigen Termin zu vereinbaren.
Ich kürze wieder ab:
Mein Freund begleitet das Paar auf dem Weg in die Schweiz, vor allem, um die Ehefrau bei der Rückkehr zu unterstützen. Es findet eine letzte ärztliche Konsultation statt. Nach der tränenreichen Verabschiedung zieht sich der Freund zurück. Die Ehefrau wird ihm berichten, sie habe den Abschluss durchaus als würdevoll empfunden, begleitet von der Anteilnahme der Helferinnen, die keineswegs routiniert kalt ihr Geschäft erledigten, sondern denen die Tragik des Falls durchaus nahe zu gehen schien.
(Als mein Freund auf der Heimfahrt das Autoradio einschaltet, wird gerade "Tears in Heaven" gespielt. Er kann darüber weder lächeln noch weinen, er muss jetzt die Witwe wieder nachhause und ins Leben zurück bringen.)

Das gute Ende einer schlimmen Geschichte?

Ich habe sie, wie schon gesagt, für solche Andere erzählt, die nicht hysterisch in Ablehnung verfallen, sondern darin einen Denkanstoß, eine Bestätigung oder auch einen Klärungsbedarf erkennen können.



Marina Dietz
2014


"Komm süßer Tod" - das Notenblatt am rechten Rand zeigt eine Arie von Johann Sebastian Bach. Wir hören die Stimme eines Menschen, der das Seine gelebt hat, er hadert nicht mit seinem Schöpfer, aber er sagt ihm deutlich: Es ist genug! Jetzt möchte er aus einer dunkel gewordenen Welt hinüber gehen "ins blaue Sternenzelt".
Inga Grüttner: Drinnen und Draussen
Das ist eines meiner Lieblingsfotos,
von Inga erspäht und festgehalten, unbearbeitet.
Was sehe ich da? Eine Türe, die nach innen führt, wo sich wunderbarerweise ein Garten versteckt?
Oder bin ICH noch drinnen und die Türe führt in Wirklichkeit nach draußen, in ein leuchtend grünendes Anderland?
Oder ist das nur die Spiegelung des Gartens hinter mir?
Doch bei so viel Schönheit vor mir, hinter mir, ist mir das gleichgültig.